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Raus aus der Komfortzone - Kritische Auseinandersetzung mit einem Führungsmodell

Michael Schmidt • Jan. 07, 2022

Ein streitbarer Ansatz über die Entfremdung am Arbeitsplatz

Wenn ich meinen Arbeitsplatz mit dem vor 30 Jahren vergleiche, dann fällt mir als erstes die rasante Geschwindigkeit auf, mit der sich heute Veränderungen vollziehen. Digitalisierung und Globalisierung, Kostendruck und völlig neue Erwartungen der Kunden an Warenverfügbarkeit und Liefergeschwindigkeit, Arbeitskräftemangel bis in den Bereich der Einfach-Arbeit und eine neue Arbeitsmoral der jungen Generation. Aber auch immer kürzere Wellen der Organisationsveränderung, an vielen Stellen kennzahlengetriebener Aktionismus und ausufernde Reportings, um das Unplanbare planbar zu machen, das sind die Themen, die mir spontan einfallen, wenn ich an die Rahmenbedingungen denke, unter denen heute gearbeitet wird.
Die Folge all dieser Entwicklungen sind eine zunehmend verdichtete Arbeit und permanent neue Anforderungen an die Handlungskompetenz der Beschäftigten - bei gleichzeitig zunehmender Spreizung der Einkommensschere. Die Anforderungen an die Beschäftigten sind klar, von ihnen werden individuelle Anpassungsleistungen verlangt, wie sie in der Geschichte der Menschheit noch nie so groß waren. Welche Folgen das hat, ist in seinem ganzen Ausmaß noch gar nicht klar, erste Hinweise auf Langzeitfolgen geben allerdings die deutlich gestiegene Anzahl an Krankheits-Fehltagen. Die globale Schlacht um Profit geht auch in Deutschland ganz offensichtlich auf Kosten der Gesundheit vieler Beschäftigter und hier vor allem auf deren psychische Gesundheit. Die Beschäftigten reagieren auf den immensen Veränderungsdruck am Arbeitsplatz mit einem teilweisen Zusammenbruch ihrer Resilienz, ihrer natürlichen Abwehrkräfte gegen vor allem psychischen Druck.

Der Mensch ist von Natur aus bequem

Oder ist es ganz anders? Sind die Menschen nur zu bequem geworden, haben sich in der alten Welt eingerichtet und scheuen nun den Wandel? Braucht Veränderung einen kleinen Schubser? Wer Menschen zu Veränderungen bewegen möchte, muss sie vielleicht erst einmal aus ihrer „Komfortzone“ holen. Sonst bewegen sie sich nicht, scheuen das Risiko der Veränderung und gefährden damit nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch das gesamte Unternehmen.
Apropos Komfortzone, den Begriff gibt es in der wissenschaftlichen Psychologie gar nicht. Er ist wahrscheinlich von einem Unternehmensberater aus irgendeinem psychologischen Experiment abgeleitet und simplifiziert worden, um mit ihm Beratungsnachfrage zu schaffen. Entsprechend schmal sind seine theoretischen Grundlagen.

Das Drei-Sektoren-Modell

Das verbreitetste Komfortzonen-Modell ist das Drei-Sektoren-Modell. Es sieht einen inneren Sektor vor, der die eigentliche Komfortzone darstellt. Wikipedia sagt dazu: „Eine Komfortzone ist der durch Gewohnheiten definierte Bereich eines Menschen, in dem er sich wohl und sicher fühlt und es ihm deswegen leichtfällt, mit der Umwelt zu interagieren.“
Um diesen inneren Sektor herum liegt die Entwicklungszone. Sie ist risikobehaftet und angstbesetzt, weshalb sie nur allzu gerne vermieden wird. In sie tritt man ein, wenn man die Komfortzone verlässt. Um diesen zweiten Sektor herum liegt die Panikzone, die zu großem Stress führt, wenn die Entwicklungsaufgaben die individuellen Möglichkeiten deutlich überfordern.

Das Vier-Sektoren Modell

Ein ebenfalls populäres Modell ist das Vier-Sektoren Modell. Es ist nicht nur ebenso einfach gestrickt, wie das Drei-Sektoren-Modell, es ist zudem deutlich fundamentalistischer. Es kennt kein Scheitern im Sinne der Panikzone des Drei-Sektoren-Modells. Vielmehr liegt hier um den inneren Sektor der Komfortzone eine Angstzone, in der alle neuen Anforderungen erst einmal abgelehnt werden. Mit zunehmender (Erfolgs)-Erfahrung stellt sich sogleich der Lernerfolg im dritten Sektor ein, der im vierten Sektor zur langfristigen Sinnfindung und Zufriedenheit des Beschäftigten führt.
Das ist eigentlich schon der ganze theoretische Inhalt dieser beiden Modelle. Betrachten wir einmal den beiden Modellen innewohnenden Kern, die eigentliche Komfortzone. Sie ist, wie gesagt „der Bereich eines Menschen, in dem er sich wohl und sicher fühlt“.

Die Zone der Sorgenfreiheit

Dann schauen wir uns doch einmal diese sorgenfreie Zone eines ganz normalen Beschäftigten an. Dort finden wir bei vielen Menschen die Sorge um ihren Arbeitsplatz, Ratlosigkeit bei der Frage, wie die Miete für die modernisierte Wohnung bezahlt werden soll, zunehmende Ängste um ein menschenwürdiges Leben als Rentner, aber auch Themen wie Klimawandel, Rechtsruck und die vielfältigen Kriege in der Welt gehören dazu. Langsames Internet, unzuverlässige öffentliche Verkehrsmittel und eine Infrastruktur, die sich in vielen Regionen am Rande des Zusammenbruchs befindet. Viele Familien sorgen sich auch um die Schulbildung ihrer Kinder, die in einem der reichsten Länder der Erde in maroden Schulgebäuden und nach unzeitgemäßen Lehrplänen von oft völlig überforderten Lehrern unterrichtet werden. Viele sorgen sich auch, weil sie als Kassenpatienten oft monatelang auf einen Arzttermin warten müssen. Und vielleicht haben viele Beschäftigte aufgrund all dieser möglichen Sorgen auch noch das Vertrauen in die Politiker verloren, die das Ganze richten sollen.
Unsere Komfortzonen-Modelle meinen aber all diese Ängste nicht, sie richten ihren Fokus nur auf die Sorgenfreiheit am Arbeitsplatz des Beschäftigten. Und da geben sich viele Unternehmen auch in Deutschland große Mühe mit vielen Erleichterungen, oft kostenlosen Sportprogrammen, günstigen Versicherungen, einer Hängeschaukel zum Entspannen und kostenlosem Wasser, Kaffee und Obst.
An dieser Stelle bedarf es sicher keiner großen Erläuterung, dass wir unsere Gefühle, insbesondere unsere fundamentalen Ängste, nicht an der Tür zum Büro oder zur Werkstatt abgeben können. Wir haben sie ja sogar dabei, wenn wir in ein Konzert gehen, ins Kino oder zum Tanzen. Gefühle, insbesondere die existentiellen, sind da doch eher ganzheitlich.
Aber nehmen wir trotz besseren Wissens jetzt einfach einmal an, man könnte den Fokus der Gefühle des Beschäftigten tatsächlich nur auf seinen Arbeitsplatz richten. Alles andere blenden wir aus. Dann sehen wir neben den Sportprogrammen und dem Kaffee auch den Paketfahrer, der wie viele andere Beschäftigte trotz einer Vollzeitstelle mit seinem Lohn keine Familie ernähren kann. Oder den Assistenzarzt im Krankenhaus, der zu gleichen Teilen unter der enormen Arbeitsbelastung und dem Standesdünkel seines Oberarztes leidet und beides in Alkohol ertränkt. Den Key Accounter, der irgendwie die Spielregeln nicht versteht und ständig für die schwierigsten Kunden zuständig ist. Gerne auch die HR-Beschäftigte, deren Kompetenz angezweifelt wird, weil sie nicht die Bewerber bringt, die das Unternehmen benötigt. Oder den ganz normalen Sachbearbeiter, der die ganzen Veränderungen einfach nicht mehr versteht und dem langsam alles egal ist.
Sich „wohl und sicher fühlen“ ist in unserer Arbeitswelt selbst bei eingeschränktestem Fokus nur schwer vorstellbar. Selbst wenn es den einen oder anderen freudigen Moment im Arbeitsleben eines Beschäftigten gibt, sollte das nicht zu dem Trugschluss führen, dass Arbeiten im frei flottierenden Kapitalismus zu Sorgenfreiheit führen kann. Da kann sich schon glücklich schätzen, wer Kolleginnen und Kollegen hat, mit denen er sich menschlich gut versteht.

Kurzer ideologischer Ausflug

Gehen wir das Thema jetzt einmal etwas differenzierter an. Die meisten Menschen würden sicher etwas ganz Anderes tun wollen, wenn sie ihre Arbeitskraft nicht täglich verkaufen müssten. Und zwar sowohl in ihrer allgemeinen Form (ich verkaufe mich), als auch in ihrer konkreten Form (ich fülle Excel-Listen aus). Die Arbeit erscheint vielen Beschäftigten vom Grundsatz her als von ihren wirklichen Wünschen ent-fremdet, wie die Soziologie das nennt. Was macht diese Entfremdung mit uns Menschen, wie verhalten wir uns dazu?
In der Psychologie wird unterschieden zwischen Verhalten, das uns hilft, langfristig Verfügung über uns einschränkende Bedingungen zu erlangen und Verhalten, dass uns möglicherweise aus kurzfristiger Sicht Vorteile bringt, uns aber langfristig schadet.
Wenn wir jetzt diese beiden Ansätze einmal zusammenbringen, ergibt sich folgendes Bild. Die meisten Beschäftigten würden eigentlich lieber etwas ganz Anderes tun als jeden Morgen an ihren Arbeitsplatz zu gehen. Und doch schaffen es die meisten, pünktlich dort zu erscheinen und zumindest einige haben an ihrer konkreten Tätigkeit wenigstens zeitweise sogar eine gewisse Freude. Wieso ist so etwas in entfremdenden Strukturen möglich? Als Erklärung bietet uns die Psychologie das Konzept der „Selbstfeindschaft“ an. Der Mensch ist nämlich, anders als jedes noch so hoch entwickelte Tier, in der Lage, jederzeit frei zu entscheiden. Und dabei hat er immer zwei grundsätzliche Möglichkeiten: Anpassung an die aktuellen Machtstrukturen (in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz etc.) oder Rebellion gegen sie (Ablehnung, Widerstand, Bummeln etc.).
Anpassung bedeutet, sich mit der Macht, welcher Art auch immer, zu arrangieren und dadurch zumindest kurzfristig im Schutz der Mächtigen relativ sicher zu leben. Aber immer im Wissen darum, dass man eigentlich etwas ganz anderes viel lieber täte und sich deshalb eigentlich für die Rebellion hätte entscheiden müssen. Damit diese „restriktive“ Entscheidung gefällt werden kann, muss der Beschäftigte all seine Sorgen und Ängste beiseite, also ins Unterbewusste, schieben. Nur wenn er all das ihn Bedrohende ausblendet, kann er seiner vom Grundsatz her als sinnlos empfundenen Arbeit nachkommen. Die Entscheidung für Anpassung im entfremdenden Kapitalismus hat also immer psychische Verdrängung zur Voraussetzung, erfordert „inneren Zwang“. Zwang ist der Zwilling der Macht.
Der Schlüssel zum Verständnis des menschlichen Verhaltens ist diese doppelte Möglichkeit bei Entscheidungen. Sie gilt natürlich auch für die Dialektik von allgemeiner und konkreter Arbeit. Ich kann mich in Kenntnis der langfristigen Folgen des Kapitalismus für Mensch und Natur gegen die Anpassung und für die Rebellion im Sinne der allgemeinen Arbeit entscheiden und zum Beispiel in alternativen Wirtschafts- oder Eigentumsformen tätig werden. Ich muss es aber nicht, ich kann mich auch für das Arbeiten unter den bestehenden entfremdenden Bedingungen entscheiden. Wie auch immer ich mich bei der allgemeinen Arbeit entscheide, daraus folgt keineswegs zwangsläufig die gleiche Entscheidung für meine konkrete Arbeit, denn auch hier habe ich wieder zwei Möglichkeiten. Ich kann mich anpassen und mich voll im Sinne des Unternehmens engagieren, ich muss es aber auch hier nicht, kann widerständig sein und etwa „Dienst nach Vorschrift“ machen. Ich kann also durchaus meine Arbeit an sich als sinnlos empfinden, trotzdem aber Spaß an meiner konkreten Arbeit haben. Aber auch die umgekehrte Kombination ist denkbar, unsere Psyche ermöglicht uns fast alles.
Für welche Option ich mich entscheide, hängt im Wesentlichen davon ab, wie ich die Folgen meiner jeweiligen Entscheidung bewerte. Je öfter sich der Mensch für ein angepasstes Verhalten gegenüber Machtstrukturen entscheidet, desto mehr Impulse der Gegenwehr muss er unterdrücken. Sein Gefühl sagt ihm vielleicht, dass er am liebsten alles hinschmeißen möchte, sein Verstand aber hält ihn nach einer Güterabwägung davor zurück. Dieses Verhalten hat weitreichende Folgen, denn es formt die Sicht des Menschen auf sich selbst, seine Haltung.
Wer in seinem bisherigen Leben gelernt hat, dass Anpassung zwar keine Sicherheit und Reichtümer einbringt, aber kurzfristig deutlich risikoloser ist als Rebellion, bei der man alles, zum Beispiel seinen Arbeitsplatz, verlieren kann, der wird bei Entscheidungen auch in Zukunft wahrscheinlich eher zur Anpassung neigen. Mit der Zeit wird es schwer, sich vor Entscheidungen immer wieder bewusst zu machen, dass man ja aktiv zwischen mindestens zwei Handlungsoptionen entscheiden kann und so erscheint die entfremdende Wirklichkeit irgendwann als das einzig Normale, das man nicht mehr grundsätzlich hinterfragt. Damit erscheint dann auch die Anpassung an das Normale als das Normale und die bei jeder Entscheidung vorhandene Alternative der Rebellion wird in das Reich linker oder grüner Ideologie verschoben. Zumindest kurzfristig kann das zu einer Entlastung des eigenen psychischen Apparates führen. Und doch ist die Alternative der Rebellion jederzeit präsent, wenn auch nicht immer bewusst.

Der Zusammenbruch

Wenn der Anteil der Arbeitsausfälle insbesondere aufgrund psychischer Krankheiten in den letzten Jahren dramatisch ansteigt, dann ist die Ursache dafür genau in diesem Anpassungsverhalten zu finden. Ein Beschäftigter, der viele Jahre lang mit innerem Zwang engagiert und eifrig seine konkrete Arbeit erledigt hat, kann bei zunehmendem Druck von außen (etwa eine erlebte Enttäuschung durch das Unternehmen) und innen (die Fülle der ins eigene Unterbewusste geschobenen rebellischen Impulse) irgendwann sein gesamtes psychisches Konstrukt nicht mehr vollständig absichern. Die immer vorhandene Alternative der Rebellion bekommt plötzlich mehr Spielraum und führt in der Güterabwägung des Verstandes immer öfter nicht mehr zu dem bisher fast automatischen Ergebnis der Anpassung an das scheinbar Normale. Stattdessen stellt sich der Mensch zunehmend die Sinnfrage und kommt immer öfter zu dem Ergebnis, dass er sich möglicherweise während eines Großteils seines Lebens für die falsche Alternative entschieden hat. Zumindest zu Beginn dieser Entwicklung ist das dem Menschen oftmals nicht bewusst, er merkt nur, dass er der Wirklichkeit zunehmend die Eigenschaft des Normalen, zumindest des erstrebenswert Normalen abspricht. Das führt zu einer zunächst nicht bewussten Widerständigkeit im Entscheidungsprozess. Sein Weltbild, seine Haltung beginnt instabil zu werden, es fehlen aber aufgrund mangelnder Erfahrung mit rebellischen Entscheidungen oftmals alternative Verhaltensmuster. Der Mensch gerät zunehmend in Entscheidungskonflikte, weil alte Werte nicht mehr kritiklos hingenommen werden, neue Werte aber noch nicht als Haltung entwickelt sind mit der Folge einer zumindest partiellen Handlungsunfähigkeit. Und genau diese Handlungsunfähigkeit ist die Ursache für psychische Störungen, insbesondere die affektiven (ICD-10, F3-Kapitel), neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen (F4-Kapitel).
Allerdings hat der Mensch auch an dieser Stelle wieder mindestens zwei Handlungsoptionen. Er kann die psychischen Konflikte annehmen und für sich einen neuen Weg suchen (oft verbunden mit großen Entscheidungen wie Scheidung, Arbeitsplatzwechsel, Umzug, etc.). Er kann aber auch vor diesen Anstrengungen zurückschrecken und seine rebellischen Impulse weiterhin unterdrücken. Oft wird dies begleitet von der Entwicklung einer radikal-reaktionären Haltung oder sarkastischen Zügen als vermeintlichem Schutz gegen seine immer auch noch vorhandenen rebellischen Impulse.

Die Psyche ist ganzheitlich in Raum und Zeit

Spätestens seit seiner Geburt muss der Mensch ständig zwischen Anpassung und Rebellion entscheiden. Seine Lebensumstände und die Erfahrungen, die er dabei sammelt, führen zu einem je eigenen Muster von Angstbereitschaft und Freiheitsstreben. Seine gesamte bisherige Lebensgeschichte inklusive der aktuell gefühlten Sorgen und Ängste, aber auch Träume und Phantasien sind die psychische Grundlage, auf der er seine Entscheidungen auch am Arbeitsplatz trifft. Und genau deshalb ist es realitätsfern, von Beschäftigten zu fordern, sie sollten bitte hoch engagiert arbeiten, ihr privates Leben, ihre Ängste und Sorgen aber bitte außen vorlassen. Es gibt keine Komfortzone am Arbeitsplatz, wenn es sie nicht auch im „sonstigen“ Leben gibt.

Perspektivenwechsel

Jetzt nehmen wir einmal einen Perspektivenwechsel vor. Bisher haben wir nur über die Ängste gesprochen, die Veränderungen oder Lernen erschweren und durch die nach Ansicht der Komfortzonen-Modelle die Beschäftigten gehen müssen, um anschließend glücklicher und produktiver zu sein. Was wir bisher noch nirgendwo in diesen Komfortzonen-Modellen als Antrieb gefunden haben, ist das Gegenteil von Angst, nämlich Sinn oder Wert.
Die Psyche des Menschen ist so gestrickt, dass sie nicht nur unter Bedingungen leben, sondern diese auch aktiv gestalten möchte. Das ist übrigens der einzige Grund, warum uns in der Evolution der Sprung aus dem Tierreich geglückt ist in eine vom Menschen geschaffene Gesellschaft, in der zum Beispiel für Sicherheit, Nahrung und Gesundheit schon dann gemeinsam gesorgt wird, wenn noch gar keine akute Mangelsituation vorhanden ist. Und in der wir Dinge produzieren, die irgendwann einmal irgendjemand gebrauchen kann. Diese Entwicklung, mit der die Gesellschaft die Evolution ablöst, wäre niemals geschehen, wenn der Mensch an sich faul und bequem und jeder Wandel ihm ein Grauen wäre. Im Gegenteil, Wandel muss evolutionär grundsätzlich positiv belegt gewesen sein, ansonsten säßen wir heute noch auf den Bäumen. Vereinfacht gesagt wurden Aktivitäten, die den Menschen geholfen haben, ihre Situation vorsorgend und gemeinsam mit anderen zu verbessern, im Tier-Mensch-Übergangsfeld emotional positiv bewertet und führten in der Antizipation der möglichen Ergebnisse zur Motivation der Veränderungshandlung, also zur Bereitstellung von Energie für Lernen und Arbeiten. Alle Einflüsse hingegen, die mich von der vorsorgenden und gemeinsamen Lebensführung ausgeschlossen hätten, müssen schon in dieser Zeit emotional negativ bewertet worden sein und zu körperlichen und psychischen Hemmungen geführt haben. Bei wahrgenommener Gefahr auch zu Angst bis hin zur Panik, mit der Folge einer deutlich reduzierten Lern- und Handlungsfähigkeit.

Eine Lösung, die Sinn macht

Was bedeutet dies nun für unser Thema Komfortzone? Wollen wir, dass psychisch halbwegs gesunde Beschäftigte ihre Arbeit motiviert angehen, gerne lernen, sich Neuem nicht verschließen und vielleicht sogar Motor von Veränderung sind, dann sollten sie nicht durch ein Tal der Tränen geschickt werden. Genau das Gegenteil ist erforderlich.
Lern- und veränderungsfördernde Arbeitsbedingungen sind solche, unter denen der tägliche Gang zum Arbeitsplatz nicht das Ergebnis einer Anpassung mit täglich vergrößerter Selbstfeindschaft ist. Vielmehr muss der Beschäftigte einen Sinn in seiner Arbeit in der Weise sehen, dass er mit seinem Tagwerk nicht seine eigene Entfremdung weiter zementiert. Dies betrifft sowohl die allgemeine Arbeit (vereinfacht gesagt den gesellschaftlichen Teil) wie auch die konkrete Tätigkeit. Die eigene Arbeit muss als Rebellion gegen Entfremdung und Sinnlosigkeit betrachtet werden können, dann wird Veränderung kein Problem darstellen, dann werden die Beschäftigten sie selber einfordern und - möglicherweise plötzlich umgekehrt - das Unternehmen damit überfordern. Rebellion hat dann das Potenzial, vorhandene gesellschaftliche und private Konflikte zu lösen und Sorgen zu reduzieren und damit der Vorstellung einer tatsächlichen Komfortzone näher zu kommen. Wahrscheinlich wird sich dafür und dadurch auch unser Wirtschaftssystem grundlegend ändern.

Haltung beeinflusst Handlung

Entscheidend für das Maß, in dem sich Beschäftigte für sinnvolle Veränderungen einsetzen, ist also ihre Sicht auf den Charakter ihrer allmorgendlichen Entscheidung, an ihren Arbeitsplatz zu gehen. Solange dies eine Entscheidung der Anpassung ist, wird Veränderung langfristig immer auf Kosten der Gesundheit des Beschäftigten gehen. Erst wenn es eine Entscheidung der Rebellion ist, wenn also die tägliche Arbeit als ein Teil zunehmender Verfügung über die Bedingungen des eigenen Lebens erfahren wird, erst dann werden Veränderungen nicht nur kein Problem mehr sein müssen, sondern im Gegenteil, sie werden von den Beschäftigten selbst eingefordert werden. Denn das ist die wirkliche Natur des Menschen.

Schafft eine Komfortzone!

Die Forderung „Raus aus der Komfortzone!“ erscheint im Licht dieser Argumentation als triviale Machtphantasie, die genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie vorgibt, erreichen zu wollen.
Die psychologisch richtige Forderung für dauerhaft erfolgreiches Lernen und motivierte Veränderung darf daher nicht lauten „Raus aus der Komfortzone!“, sondern „Schafft eine Komfortzone!“, indem Arbeit einen echten Sinn und gesellschaftlichen Wert bekommt, der von den Beschäftigten im Arbeitsalltag authentisch und nachhaltig erlebbar ist.
von Michael Schmidt 11 März, 2022
(Video) Wie können Sie verhindern, bei all den aktuellen Krisen in Schockstarre zu verfallen? Wie schützen Sie sich und Ihre Gefühle davor, Ihr Leben zu blockieren? In diesem kurzen Video erhalten Sie einige praktische Tipps, die Ihnen helfen können, wieder in die Handlung zu kommen.
von Michael Schmidt 22 Feb., 2022
Das innere Kind ist zum großen Kassenschlager geworden. Du aber fragst provokativ, ob das alles nur ein großes Missverständnis ist. Hol mich doch mal bitte ab, was hat es damit auf sich? Antwort: Die Theorie des inneren Kindes ist in den 1980er-Jahren vor allem von US-amerikanischen Psychologen entwickelt worden. Hintergrund ist das sehr mäßige Bildungsniveau des durchschnittlichen US-Amerikaners, weshalb etwas komplexere Theorien simplifiziert werden müssen, um sich verbreiten zu können. Mit der Theorie des inneren Kindes hatten die Autoren, hier vor allem John Bradshaw, Margaret Paul und Erika Chopich, offensichtlich den Zeitgeist getroffen und eine große Bewegung in Gang gesetzt. Das Bildungsniveau des durchschnittlichen Europäers, vor allem auch des Deutschen, ist mittlerweile aber ebenso mäßig, wie das der US-Amerikaner. Hier hat unser Schulsystem ganze Arbeit geleistet. Das Konzept des „inneren Kindes“ ist ein alter Hut Aber zurück zum inneren Kind. Im Kern handelt es sich dabei um psychologische Modelle, die schon lange bekannt sind und von professionellen Therapeuten angewendet werden. Um es nun auch simpel zu formulieren, handelt es sich bei dem Konzept um die Annahme, dass frühkindliche Erfahrungen maßgeblich dafür verantwortlich sind, wie ich spätere Erfahrungen bewerte, vermeide oder suche. Es geht darum, zu begreifen, wie sich die Gefühle eines Menschen entwickeln, welchen Einfluss sie im Leben eines Menschen haben und wie Blockaden erkannt und überwunden werden können. Frage: Es ist doch gut, wenn die Menschen das komplizierte Konzept auf diesem Weg verstehen. Immerhin hat der Begriff „inneres Kind“ über 6 Millionen Treffer bei Google. Das zeigt doch, dass das Thema relevant ist und angenommen wird. Antwort: Das ist ja genau das Problem. Es handelt sich bei dem Konzept um ein so stark simplifiziertes Modell, dass es aus meiner Sicht therapeutisch gar nicht nutzbar ist. Ein professioneller Therapeut beherrscht die Originaltheorie, der braucht kein solches Volksmodell. Der Laie aber beschäftigt sich vor allem in persönlichen Krisensituationen mit dem Modell des inneren Kindes und erwartet natürlich Heilung. Es ist tatsächlich ein Verdienst des Modells, dass die Umstände frühkindlicher Entwicklung stärker ins Bewusstsein der Menschen rücken. Die eigene Geschichte wird in Gesprächen und beim eigenen Nachdenken rekapituliert, Enttäuschungen und Traumatisierungen kommen zur Sprache aber auch gute Erinnerungen werden als Ressource aktiviert. Das alles ist erst einmal zu befürworten. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass die Identifikation der für die aktuellen Probleme relevanten frühkindlichen Ereignisse, das Verständnis von Kausalität und Korrelation, also von Ursache und Wirkung und ihre Einordnung in die familiär-systemischen Bezüge ohne professionelle Hilfe nicht gelingen kann. Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste Grund ist ganz einfach: nur weil ich mich mit meiner eigenen Geschichte befasse, begreife ich ja nicht automatisch die drei gerade genannten diagnostischen Aspekte Relevanz, Kausalität und Systembezug. Gerade bei Angst und Depressionen ist es oft immanenter Teil der Problematik, dass ich die Ursachen dafür nicht wirklich erkennen möchte, weil ich die Veränderung meines Lebens einerseits zwar anstrebe, andererseits macht aber gerade sie mir die Angst. Ich erinnere mich dazu auch nur sehr lückenhaft (Quantität) und selektiv (Qualität) und genau das ist oft selber eine Folge der psychischen Verarbeitung belastender frühkindlicher Ereignisse, zum Beispiel als Folge von Verdrängungen. Ein Volksmodell ohne nachhaltigen therapeutischen Nutzen Der zweite Grund ist eigentlich ebenso einfach. Ich nenne mal eine Analogie: Nur weil ich wahrnehme, dass ich Erkältungssymptome habe, sind dies nicht gleich Symptome eines grippalen Infektes, und selbst wenn sie es wären, sind diese mit der Wahrnehmung nicht auch bereits überwunden. Selbst wenn ich es schaffen würde, mit Hilfe der Idee des inneren Kindes relevante und kausale Ereignisse in meinem biografischen Bezugssystem zu rekonstruieren, so würde dies ja nicht zugleich die Heilung sein. Zwischen Erkennen und Heilen muss ja eine ganze Menge passieren, nämlich die eigentliche Therapie. Und da bietet dieses Volksmodell „inneres Kind“ aus meiner Sicht keinen wirklich funktionierenden Ansatz. Natürlich ist es positiv, wenn ich lerne, achtsam mit mir umzugehen, mich anzunehmen, wie ich bin, mich vielleicht sogar zu lieben mit all meinen Problemen. Aber das alles ist ja noch lange keine Heilung. Die Idee des inneren Kindes ist maximal als Sensibilisierung, keinesfalls aber für eine Selbsttherapie geeignet. Und damit hat sie wiederum zwei alternative oder auch gemeinsame oder wechselnde Folgen. Die eine Folge kann sein, dass ich beginne zu ahnen, was mein Problem ist. Ich erkenne aber gleichzeitig, dass ich „den Geist, den ich heraufbeschworen habe“, also die Beschäftigung mit meinen traumatischen Erlebnissen, nicht mehr loswerde, weil ich keine wirklichen Lösungsansätze finde und im schlechtesten Fall sogar eine Re-Traumatisierung erfahre. Die andere Folge ist nicht weniger problematisch. Ich halte die Beschäftigung mit meinen traumatischen Erlebnissen für den Heilungsprozess selber. Ich erinnere mich an immer mehr Ereignisse in meiner Kindheit und gewinne darüber die Ansicht, meine Probleme Stück für Stück zu lösen. Tatsächlich ist dies aber eine komplette Illusion, die mich von einer Überwindung meiner Probleme abhält und das Leiden unter ihnen sogar verlängert. Frage: Aber wie kann es denn sein, dass gerade dieses Modell des „inneren Kindes“ einen solchen Erfolg hat, wenn es tatsächlich die Probleme eher schlimmer als besser macht? Das widerspricht sich doch irgendwie. Simplifizierung, bis kein Inhalt mehr übrig bleibt Antwort: Na ja, du erreichst die Menschen vor allem über Emotionen, leider nur selten über Logik und Verstand. Das Konzept des „inneren Kindes“ ist ein simples Modell mit dem Anspruch auf Massentauglichkeit. Erreicht wird das vor allem durch den Kniff der Personalisierung, den die meisten Menschen sofort verstehen und für richtig halten. Dabei ist es in der Sache ziemlicher Unsinn. Als würde es tatsächlich ein Erwachsenen-Ich und ein Kind-Ich geben. Eine Bestseller-Autorin führt sogar zwei Kind-Ichs ein: das „Schattenkind“ und das „Sonnenkind“. Ich vereinfache jetzt auch mal, unter Schattenkind werden alle schlechten und unter Sonnenkind alle guten Erfahrungen in der Kindheit subsummiert. Das ist in hohem Maße anschaulich und verständlich, aber fachlich kompletter Quatsch, weil die Entwicklung der Psyche so eben nicht funktioniert. Die Begriffe Erwachsenen-Ich und Kind-Ich erinnern stark an die Transaktionsanalyse nach Eric Berne. Sie ist ein ebenso stark vereinfachtes Modell menschlicher Kommunikation. Ich gebe zu, die Versuchung, sich als Laie solcher Modelle zu bedienen, um sein eigenes Verhalten oder das anderer Menschen zu verstehen, ist groß. Weil es eben so einfach ist, kaum Kenntnisse benötigt, um eine irgendwie logische Beschreibung von Kommunikation oder menschlichen Verhaltens abzugeben. Aber es ist eben auf dem Niveau einer Unterhaltung zweier Laien. Für die Lösung wirklich manifester psychischer oder von der Psyche ausgehender Konflikte sind diese Volksmodelle nicht geeignet. Von dieser Einschätzung ausnehmen möchte ich die Hypnose und die katathym-imaginative Therapie. Auch bei diesen beiden Techniken wird gelegentlich das innere Kind bemüht. Unter anderem, um die Fähigkeit zu testen, in wieweit der Patient bereit und in der Lage ist, sich an seine traumatischen Erfahrungen zu erinnern und diese als Blockade aktueller Handlungen anzuerkennen. Wir haben es hier mit dem gleichen Begriff „inneres Kind“ zu tun, es steckt aber ein ganz anderes Konzept dahinter. Daher gilt alles zuvor Gesagte ausdrücklich nicht für diese beiden Techniken. Frage: Das ist aber starker Tobak. Ist das nicht ungerecht gegenüber den Menschen, die sich, aus welchen Gründen auch immer, mit solchen Modellen ihrer eigenen Psyche annähern wollen? Antwort: Es mag sein, dass das der Eine oder die Andere als ungerecht oder sogar arrogant empfindet. Aber mir geht es hier ja nicht um Gerechtigkeit, sondern um das Verstehen psychischer Entwicklung und das erfolgreiche Überwinden von Ängsten und Depressionen. Frage: Kannst du das Ganze vielleicht nochmal an einem Beispiel erläutern? Ich glaube, das würde mir helfen, deine Gedanken zu verstehen. Antwort: Stell dir ein Kind vor, das im Alter von 8 Wochen aufgrund einer Krankheit für ganze 3 Monate von der Mutter getrennt, isoliert im Krankenhaus liegen muss. Dreimal am Tag kam eine Krankenschwester zum Füttern und einmal in der Woche ein Arzt zur Visite. In den 60er bis 80er Jahren des letzten Jahrhunderts war das durchaus üblich, viele der heutigen Babyboomer haben das in der einen oder anderen Weise erlebt. Ähnlich war es bei älteren Kindern übrigens auch bei den von den damaligen Fürsorgeämtern in der BRD angeordneten, bis zu 6-wöchigen Kinderkuren. Es ist denkbar, dass diese Trennung von der Mutter schwerwiegende Folgen für das weitere Leben des Kindes bis ins Erwachsenenalter hat, etwa spätere Ängste vor dem Alleinsein, vor einer Trennung oder dem Verlust von Menschen oder Dingen, die einem etwas bedeuten. Wohlgemerkt, das muss nicht sein, kann aber die Folge der sicher traumatischen Erfahrungen des Säuglings oder der Kleinkinder sein. Wenn dem im Einzelfall so ist, dann würde es sich bei den beschriebenen Ängsten um eine Gefühlsblockade handeln, die zur Folge hat, dass bestimmte Situationen im Leben des Menschen gesucht oder vermieden werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass dieser Mensch bestimmte Erfahrungen macht und andere nicht, und zwar nicht, weil er das nach bewusster Entscheidung so möchte, sondern weil er sich durch seine Gefühle so steuern lässt. Jetzt stell dir einen erwachsenen Menschen vor, der von Ängsten und Depressionen geplagt ist und diese gerne überwinden möchte. Beim Nachdenken über seine Kindheit fällt ihm diese Erfahrung im Krankenhaus oder in der Kinderkur ein, die er wohl nur aus Erzählungen seiner Eltern kennt, weil er sich wahrscheinlich selber nicht daran erinnern kann. Und jetzt klebt er ein Etikett mit der Beschriftung „inneres Kind“ auf diese Erinnerung oder das dadurch ausgelöste blockierende Gefühl. Was ist der Gewinn, an welcher Stelle ist dieses Etikett von Vorteil? Es reicht doch völlig aus, eine solche Erfahrung identifiziert zu haben, um sie als mögliche Ursache seiner akuten Angstschübe zu betrachten. Welchen Vorteil hat es, dieses Ereignis zu personalisieren und damit aus meiner Sicht zu banalisieren? Frage: Ja, warum? Ein großer Markt, aber keine große Hilfe Antwort: Du hast die Trefferanzahl von „inneres Kind“ auf Google erwähnt. Dort findest du aus meiner Sicht die Antwort auf deine Frage. Ich zitiere einmal frei und wahllos aus Treffern der ersten drei Ergebnisseiten: • du solltest das innere Kind heilen • du solltest fürsorglich sein • dich mit ihm versöhnen • ihm helfen, erwachsen zu werden • finde seine wahre Verletzung • nimm es an die Hand • die Innere Kind-Arbeit • stelle Kontakt zu ihm her • sei achtsam mit deinem inneren Kind • Trost und Fürsorge für dein inneres Kind • Karten für das innere Kind • Inneres Kind-Übungen Das Konzept des inneren Kindes ist ein Markt, auf dem sich sehr viel Geld verdienen lässt. Es gibt unzählige Bücher, Seminare, Meditationen, Hörbücher, Karten, Gesprächskreise, Konferenzen usw. Alles was du brauchst, um damit auch Geld zu verdienen, ist ein gewisses psychologisches Grundwissen, ein selbstbewusstes Auftreten, gutes Marketing und Guru-Qualitäten. Die Aussicht vieler Menschen, endlich ein leicht verständliches Konzept zur Überwindung ihrer Probleme gefunden zu haben, öffnet ihnen ihr Herz und ihr Portemonnaie. Denn wer versteht das nicht, dass es neben den erwachsenen Anteilen auch kindliche Anteile gibt, die ich annehmen muss? Die Überzeugung der Massen erfolgt eben über Emotionen, nicht über den Verstand. Das Konzept des inneren Kindes führt nicht ursächlich zur Überwindung von Angst und Depressionen, weil es gar nicht lösungsorientiert, sondern allenfalls diagnoseorientiert ist.
von Michael Schmidt 08 Feb., 2022
Warum ist dieses Thema für so viele Menschen interessant? Warum muss man lernen, wie man seine eigenen Interessen durchsetzt? Wäre es nicht einfacher, besser und gerechter, wenn sich stets die beste Idee durchsetzen würde? Oder wenn der beste Vorschlag angenommen, die am besten geeignete Person befördert oder das beste Produkt gekauft würde? Ja, es wäre gut und vielleicht sogar gerecht, aber aus ganz einfachen Gründen kann es nicht funktionieren. In diesem Beitrag erfahren Sie, auf was es ankommt, wenn Sie sich wirklich durchsetzen wollen. Sie werden erstaunt sein, wie einfach es ist, wenn Sie erst das Prinzip verstanden haben. Befreien Sie sich von den Stimmen aus Ihrer Vergangenheit Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, wie Sie als Kind den Geheimnissen dieser Welt auf die Spur gekommen sind? Ihre Erkenntnisse haben Sie hoffentlich klug und stark gemacht. Aber sie haben oft auch ein Gefühl hinterlassen, dass es immer Menschen gibt, die etwas noch besser wissen oder können als Sie. Das Nachbarsmädchen, die Mitspieler im Fußballverein, die Lehrerin an der Schule, die Ausbilder oder Professoren, überall lauerte das Bessere. Und genau dieses Gefühl ist es, das vielen Menschen auch im Erwachsenenalter noch Probleme bereitet. Viel mehr Menschen als man denkt haben eine innere Stimme, die ihnen bei allen möglichen Gelegenheiten sagt: - Du bist nicht gut genug! - Das reicht nicht! - Es gibt besser Geeignete als Dich! Dabei steht wie selbstverständlich das kognitive oder handwerkliche Können und Wissen im Mittelpunkt. In unserer Gesellschaft wird genau auf diese hard-facts Wert gelegt. Ob jemand mit sich zufrieden ist, ob er empathisch ist oder ob er Beziehungen pflegen kann, diese soft-facts spielen fast keine Rolle. Und das hat Auswirkungen auf unser Selbstbild und vor allem auf unser Selbstwertgefühl. Wie wir mit unserem Selbstwert umgehen, das erfahren Sie gleich weiter unten. Lassen Sie uns zunächst einmal festhalten, dass es objektiv immer jemanden gibt, der irgendetwas besser kann oder mehr weiß als jemand anderes. Aber nicht immer ist derjenige, der mehr kann und mehr weiß auch der am besten geeignete Kandidat für eine Arbeitsstelle, für eine Freundschaft oder eine Funktion. Wäre Superman auch dann Superman geworden, wenn er einen Chef gehabt hätte? Was nutzt Ihnen das Training bei einem Schachweltmeister, wenn Sie gerade erst anfangen die einfachsten Grundzüge zu lernen? Was hilft es Ihnen als Fahrschüler, wenn Ihr Fahrlehrer Formel-1-Weltmeister ist? Was hilft Ihnen ein Professor, wenn Sie in der ersten Klasse die Schreibschrift lernen wollen? Sie helfen Ihnen gar nichts. Im Gegenteil, Sie wären wahrscheinlich schnell überfordert und Ihre Lehrer würden genervt sein. Verabschieden Sie sich also an dieser Stelle von der Idee, nur der am besten Qualifizierte oder Erfahrene sei es wert, sich durchzusetzen. Denn - erstens gibt es den Besten nicht und - zweitens wäre er an den meisten Stellen nicht brauchbar. Sagen Sie Ihrer inneren Stimme deshalb immer wieder, dass es keinen objektiv Besten gibt! Moral gehört zu den großen Lügen der Gesellschaft Und wenn Sie das oft genug gemacht haben und Ihre innere Stimme zu diesem Thema nun endlich schweigt, dann werden Sie feststellen, dass es noch eine zweite Stimme gibt. Die sagt Ihnen ständig, Sie müssten beim Durchsetzen Ihrer Interessen fair sein, einen Kompromiss suchen und notfalls auch mal den Anderen vorlassen. Nur mit solchen Regeln, die wir Werte oder Moral nennen, könne eine Gesellschaft funktionieren. Moral hat etwas mit Fairness, Gerechtigkeit, Reihenfolge etc. zu tun. Doch Vorsicht, Moral fällt nicht vom Himmel. Sie ist von Menschen gemacht und daher immer interessegeleitet. Besonders laut fordern oft solche Menschen moralisches Verhalten, die sich selbst ganz anders verhalten und vor allem ihren eigenen Vorteil suchen. Das waren früher unsere Eltern und Lehrer, später Politiker, Arbeitgeber, Kollegen und Kolleginnen oder auch Freunde. Fairness ist wichtig, aber ganz oft nur eine gute Ausrede, um sich einem Konflikt nicht stellen zu müssen. Wie sagte Egon Bahr so treffend: „Wenn ein Politiker anfängt, über Werte zu schwadronieren, anstatt seine Interessen zu benennen, wird es höchste Zeit, den Raum zu verlassen.“ Achten Sie deshalb beim nächsten Mal auch auf Ihre zweite innere Stimme. Wenn sie Ihnen empfiehlt, aus Gründen der Fairness einem Konflikt auszuweichen, dann lehnen Sie dankend ab. Denn Sie haben sehr wohl das Recht, Ihre Interessen durchzusetzen. Auch wenn das bedeutet, dass ein anderer dann nur Zweiter wird. Machen Sie das so lange, bis auch Ihre zweite innere Stimme zu diesem Thema schweigt. Denn erst dann sind Sie wirklich bereit und in der Lage, Techniken zu lernen, mit denen Sie Ihre Interessen wirkungsvoller durchsetzen können, ohne sich Feinde zu machen. Erst ab dem Punkt, an dem Sie sich nicht mehr von den inneren Stimmen aus Ihrer Vergangenheit leiten lassen, sind Sie wirklich erwachsen. Nur auf einem stabilen Fundament können Sie große Entscheidungen treffen Ich habe Ihnen oben versprochen, dass es für Sie ganz einfach ist, Ihre Interessen durchzusetzen, wenn Sie das Prinzip verstanden haben. Der erste Schritt ist getan, Sie haben die beiden wichtigsten Blockaden kennengelernt, die Menschen daran hindern, sich durchzusetzen. Ihre beiden inneren Stimmen: - ich bin nicht gut genug und - ich bin es nicht wert, mich durchzusetzen. Im nächsten Schritt erfahren Sie, mit welchen Techniken Sie die Wahrscheinlichkeit Ihres Erfolgs deutlich erhöhen. Weil Sie es schaffen, Ihre Interessen so darzustellen, als gäbe es eigentlich für alle Beteiligten keine bessere Lösung, als Ihnen zuzustimmen. Doch vorher müssen wir noch ein ganz anderes wichtiges Thema streifen. Ihr Erfolg hängt nämlich ganz entscheidend davon ab, mit welchem Typus Mensch Sie es zu tun haben. Gehen Sie fest davon aus, dass die meisten Menschen das Problem mit ihren beiden inneren Stimmen noch nicht gelöst haben. Ganz egal, wie alt sie sind, welche Stellung sie innehaben und ob es sich um Business- oder private Kontakte handelt. Ihre Gesprächspartner befinden sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit in einem Zustand, in dem sie sich von ihren schwachen Selbstwert-Gefühlen leiten lassen, sich dessen aber nicht bewusst sind. Vorsicht vor den lieben und den bösen Psychopathen Und deshalb kommt hier die zweite wichtige Erkenntnis dieses Beitrags für Sie. Nur weil man sich der Steuerung durch seine inneren Stimmen nicht bewusst ist, bedeutet das nicht, dass dies keine Auswirkung auf das Verhalten hätte. Ganz im Gegenteil! Wer sich unbewusst von seinen beiden inneren Stimmen leiten lässt, der leidet in hohem Maße unter seinem mangelnden Selbstwert. Da es aber kein Mensch aushält, auf Dauer unter seiner gefühlten Macht- und Wertlosigkeit zu leiden, haben wir hochwirksame, psychische Abwehrmechanismen entwickelt. Dabei unterscheiden wir zwei Abwehr-Typen: - die Devoten (Schüchternen) und - die Dominanten (Narzissten) Beide haben das gleiche Problem, gehen es aber mit völlig unterschiedlichen Strategien an. Der devote Typus nimmt sich in Konflikten eher zurück und ist schneller bereit aufzugeben. Der dominante Typus hingegen stellt sich eher nach vorne und greift auch mit unfairen Mitteln an. Wenn Sie Ihre Interessen durchsetzen möchten, kalkulieren Sie unbedingt diese beiden Typen in Ihre Strategie ein. Beide sind Ihren kognitiven Argumenten kaum zugänglich und handeln vor allem emotional. Nur der „normale“ Typus wird sich Ihren Argumenten gegenüber wirklich öffnen können, denn er hat seine beiden inneren Stimmen im Laufe des Erwachsenwerdens zurückgelassen. Sollten Sie übrigens selbst noch unter den beiden inneren Stimmen leiden, dann habe ich zwei gute Nachrichten für Sie: 1. Wenn Ihnen Ihr Problem bewusst ist, ist dies bereits der erste Schritt zur Lösung. 2. Mit Hilfe eines professionellen Coaches oder Therapeuten schaffen Sie das Löschen der inneren Stimmen meistens in wenigen Sitzungen. Mit diesen Profi-Techniken können Sie sich erfolgreich durchsetzen Damit sind wir nun bei Schritt drei angekommen, den besten Techniken, die Sie beherrschen sollten, um sich erfolgreich durchzusetzen. Sie funktionieren grundsätzlich immer, egal welcher Typus Sie selbst sind und egal gegenüber welchen Typen Sie sich durchsetzen möchten. Je nachdem, gegen wen Sie sich durchsetzen möchten, ändert sich nur der Schwerpunkte Ihrer Argumentation (bei „Normalen“ mehr kognitiv, bei „Neurotikern“ vor allem emotional) sowie der Vergnügungsgrad der Auseinandersetzung. Grundsätzlich gilt: Wenn Sie erfolgreich sein wollen, müssen Sie Ihre Interessen so vortragen können, dass Ihr Gegenüber Ihre Interessen - genau versteht, - sie zu seinen eigenen Interessen macht und - sich nichts sehnlicher wünscht, als dass seine nun eigenen Interessen durch Sie durchgesetzt werden. Das ist das Prinzip der Erfolgreichen! Machen Sie Ihre Interessen zu den Interessen der Anderen und finden Sie Menschen, die für Sie durchs Feuer gehen, weil sie von Ihrer Idee überzeugt sind. Die Erfolgreichsten gehören übrigens selten zu den Klügsten. Und trotzdem beherrschen Sie diese Kunst. Es muss also einfach sein, Sie müssen nur üben! Die folgenden Techniken sollten Sie deshalb anwenden, wann immer Sie etwas durchsetzen möchten. 1. Legen Sie das Spielfeld und die Regeln fest. Bevor Sie anfangen, über Ihre Interessen zu sprechen, legen Sie so genau wie nur möglich fest: - Worüber wollen Sie reden? - Was wollen Sie genau? - Wann, warum und wie wollen Sie das? - Welche Gegenargumente könnten angeführt werden? - Welchen strategischen Spielraum legen Sie fest, innerhalb dessen Sie ggf nachgeben wollen? - Wo genau sind die Grenzen, bis zu denen Sie kompromissbereit sind? 2. Denken Sie sich eine schöne Geschichte aus. Verpacken Sie Ihre Interessen nun in eine interessante Story. Diese sollte für jeden nachvollziehbar, „logisch“ („Ja-Kette“), unterhaltsam und für den Entscheider nutzenorientiert ist. Unterteilen Sie Ihre Story in drei Teil-Storys, die anschaulich erklären - wie es dazu kam, dass Sie diese Interessen entwickelt haben. Nutzen Sie hierfür Ereignisse, die Sie mit dem Entscheider verbinden, - was diese Interessen heute für Sie und den Entscheider bedeuten könnten sowie - welche Auswirkungen das Durchsetzen Ihrer Interessen für die Zukunft des Unternehmens, des Entscheiders, des Vereins etc. haben könnte, ohne sich hier auf verbindliche Zusagen festzulegen. Wenn möglich, erzählen Sie zwei verschiedene Varianten dieses letzten Teils, um dem Entscheider eine scheinbare Wahlmöglichkeit anzubieten. Beziehen Sie Ihre Zuhörer stets in die Story ein, indem Sie Rückfragen stellen, wie: - „Erinnern Sie sich noch?“ - „Wissen Sie noch, wie wir damals angefangen haben?“ - „Das ist genau das, was wir doch alle wollen“ etc. 3. Zeigen Sie Verständnis für Gegenargumente. Niemand wird sich für Sie einsetzen, wenn Sie ihn vor den Kopf stoßen. Zeigen Sie deshalb bei Gegenargumenten oder kritischen Rückfragen immer Verständnis. Versuchen Sie, das Argument aufzunehmen und in Ihre Story einzubauen. - Greifen Sie hier auf bekannte Ereignisse in der Vergangenheit zurück. („Vor vier Jahren haben wir schon einmal vor einer ähnlichen Entscheidung gestanden und uns dafür entschieden, dies und das nicht zu tun.“) - Entwickeln Sie ganz vorsichtig eine negative Perspektive. („Wenn alles glatt läuft, haben Sie Recht, aber wir sollten berücksichtigen, dass…“) Zeigen Sie durch schnelle Antworten, dass Sie genau wissen, wovon Sie sprechen. 4. Nutzen Sie Emotionen. Beziehen Sie möglichst Menschen in Ihre Story ein, deren Schicksal mit der Durchsetzung Ihrer Interessen verbunden ist. Fast immer „funktionieren“ Kinder und Tiere. Übertreiben Sie diesen Punkt allerdings nicht. Bieten Sie so dem Entscheider eine Möglichkeit, seine eigenen Wünsche nach Macht („Gutes tun“), Geld (Status) oder Erfolg (Anerkennung) durch einen größeren Wirkungskreis zu erhöhen. 5. Seien Sie standhaft. Bieten Sie dem Gegenüber keine Möglichkeit, leichtfertig einen Kompromiss anzubieten. Formulieren Sie Ihre Interessen klar, deutlich und direkt. Bei jedem Kompromissversuch sollte Ihr Gegenüber Skrupel haben. Machen Sie keine voreiligen Zugeständnisse und signalisieren Sie auch nicht Ihre Bereitschaft dazu, indem Sie Konjunktive wie „wir könnten ja“ oder „vielleicht sollten wir“ verwenden. 6. Seien Sie höflich und sympathisch. Immer! Egal, wie sich Ihr Gegenüber verhält, bewahren Sie immer die Ruhe und seien Sie nett. Nutzen Sie niemals Schimpfwörter oder Erpressungsversuche. Denn nur wenn Sie am Ende gewinnen und Ihr Gegenüber nicht zu Ihrem Feind geworden ist, haben Sie wirklich gewonnen. Ansonsten werden Sie auf die Retourkutsche nicht lange warten müssen. Wenn Sie diese einfachen Profi-Techniken beachten, werden Sie ab sofort spürbar besser als bisher Ihre Interessen durchsetzen. Versprochen! Allerdings mit der kleinen Einschränkung, dass Sie sich in einem Konflikt mit halbwegs „normalen“ Menschen befinden, die ihre beiden inneren Stimmen im Griff haben. Manchmal jedoch befindet man sich in einem System, in dem extrem devote Entscheider nichts entscheiden oder Narzissten unkalkulierbar herrschen. In diesem Fall sollten Sie sich Ihre Situation und die eingeschränkten Möglichkeiten zur Durchsetzung Ihrer Interessen bewusst machen. Sie sollten klar entscheiden, ob Sie „dieses Spiel“ wirklich mitmachen möchten. Ein „Sieg“ in einem solchen psychopathischen System ist in der Regel nur möglich, wenn Sie weitgehende Zugeständnisse machen. Oder sich mit der Zeit selbst den neurotischen Verhaltensweisen anpassen. Die Folgen sind dann in vielen Fällen Depressionen („Burn-Out“) oder Sarkasmus („Entfremdung“). Ein Coach oder Therapeut kann Ihnen in diesem Fall sehr effektiv helfen, Ihre Situation klarer zu reflektieren, um eine gute Entscheidung für sich zu treffen. Eine Entscheidung, die Ihnen erlaubt, sich auch in Zukunft „normal“ zu verhalten und trotzdem erfolgreich durchzusetzen, ohne sich Feinde zu machen.
von Michael Schmidt 07 Jan., 2022
Wenn ich meinen Arbeitsplatz mit dem vor 30 Jahren vergleiche, dann fällt mir als erstes die rasante Geschwindigkeit auf, mit der sich heute Veränderungen vollziehen. Digitalisierung und Globalisierung, Kostendruck und völlig neue Erwartungen der Kunden an Warenverfügbarkeit und Liefergeschwindigkeit, Arbeitskräftemangel bis in den Bereich der Einfach-Arbeit und eine neue Arbeitsmoral der jungen Generation. Aber auch immer kürzere Wellen der Organisationsveränderung, an vielen Stellen kennzahlengetriebener Aktionismus und ausufernde Reportings, um das Unplanbare planbar zu machen, das sind die Themen, die mir spontan einfallen, wenn ich an die Rahmenbedingungen denke, unter denen heute gearbeitet wird. Die Folge all dieser Entwicklungen sind eine zunehmend verdichtete Arbeit und permanent neue Anforderungen an die Handlungskompetenz der Beschäftigten - bei gleichzeitig zunehmender Spreizung der Einkommensschere. Die Anforderungen an die Beschäftigten sind klar, von ihnen werden individuelle Anpassungsleistungen verlangt, wie sie in der Geschichte der Menschheit noch nie so groß waren. Welche Folgen das hat, ist in seinem ganzen Ausmaß noch gar nicht klar, erste Hinweise auf Langzeitfolgen geben allerdings die deutlich gestiegene Anzahl an Krankheits-Fehltagen. Die globale Schlacht um Profit geht auch in Deutschland ganz offensichtlich auf Kosten der Gesundheit vieler Beschäftigter und hier vor allem auf deren psychische Gesundheit. Die Beschäftigten reagieren auf den immensen Veränderungsdruck am Arbeitsplatz mit einem teilweisen Zusammenbruch ihrer Resilienz, ihrer natürlichen Abwehrkräfte gegen vor allem psychischen Druck. Der Mensch ist von Natur aus bequem Oder ist es ganz anders? Sind die Menschen nur zu bequem geworden, haben sich in der alten Welt eingerichtet und scheuen nun den Wandel? Braucht Veränderung einen kleinen Schubser? Wer Menschen zu Veränderungen bewegen möchte, muss sie vielleicht erst einmal aus ihrer „Komfortzone“ holen. Sonst bewegen sie sich nicht, scheuen das Risiko der Veränderung und gefährden damit nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch das gesamte Unternehmen. Apropos Komfortzone, den Begriff gibt es in der wissenschaftlichen Psychologie gar nicht. Er ist wahrscheinlich von einem Unternehmensberater aus irgendeinem psychologischen Experiment abgeleitet und simplifiziert worden, um mit ihm Beratungsnachfrage zu schaffen. Entsprechend schmal sind seine theoretischen Grundlagen. Das Drei-Sektoren-Modell Das verbreitetste Komfortzonen-Modell ist das Drei-Sektoren-Modell. Es sieht einen inneren Sektor vor, der die eigentliche Komfortzone darstellt. Wikipedia sagt dazu: „Eine Komfortzone ist der durch Gewohnheiten definierte Bereich eines Menschen, in dem er sich wohl und sicher fühlt und es ihm deswegen leichtfällt, mit der Umwelt zu interagieren.“ Um diesen inneren Sektor herum liegt die Entwicklungszone. Sie ist risikobehaftet und angstbesetzt, weshalb sie nur allzu gerne vermieden wird. In sie tritt man ein, wenn man die Komfortzone verlässt. Um diesen zweiten Sektor herum liegt die Panikzone, die zu großem Stress führt, wenn die Entwicklungsaufgaben die individuellen Möglichkeiten deutlich überfordern. Das Vier-Sektoren Modell Ein ebenfalls populäres Modell ist das Vier-Sektoren Modell. Es ist nicht nur ebenso einfach gestrickt, wie das Drei-Sektoren-Modell, es ist zudem deutlich fundamentalistischer. Es kennt kein Scheitern im Sinne der Panikzone des Drei-Sektoren-Modells. Vielmehr liegt hier um den inneren Sektor der Komfortzone eine Angstzone, in der alle neuen Anforderungen erst einmal abgelehnt werden. Mit zunehmender (Erfolgs)-Erfahrung stellt sich sogleich der Lernerfolg im dritten Sektor ein, der im vierten Sektor zur langfristigen Sinnfindung und Zufriedenheit des Beschäftigten führt. Das ist eigentlich schon der ganze theoretische Inhalt dieser beiden Modelle. Betrachten wir einmal den beiden Modellen innewohnenden Kern, die eigentliche Komfortzone. Sie ist, wie gesagt „der Bereich eines Menschen, in dem er sich wohl und sicher fühlt“. Die Zone der Sorgenfreiheit Dann schauen wir uns doch einmal diese sorgenfreie Zone eines ganz normalen Beschäftigten an. Dort finden wir bei vielen Menschen die Sorge um ihren Arbeitsplatz, Ratlosigkeit bei der Frage, wie die Miete für die modernisierte Wohnung bezahlt werden soll, zunehmende Ängste um ein menschenwürdiges Leben als Rentner, aber auch Themen wie Klimawandel, Rechtsruck und die vielfältigen Kriege in der Welt gehören dazu. Langsames Internet, unzuverlässige öffentliche Verkehrsmittel und eine Infrastruktur, die sich in vielen Regionen am Rande des Zusammenbruchs befindet. Viele Familien sorgen sich auch um die Schulbildung ihrer Kinder, die in einem der reichsten Länder der Erde in maroden Schulgebäuden und nach unzeitgemäßen Lehrplänen von oft völlig überforderten Lehrern unterrichtet werden. Viele sorgen sich auch, weil sie als Kassenpatienten oft monatelang auf einen Arzttermin warten müssen. Und vielleicht haben viele Beschäftigte aufgrund all dieser möglichen Sorgen auch noch das Vertrauen in die Politiker verloren, die das Ganze richten sollen. Unsere Komfortzonen-Modelle meinen aber all diese Ängste nicht, sie richten ihren Fokus nur auf die Sorgenfreiheit am Arbeitsplatz des Beschäftigten. Und da geben sich viele Unternehmen auch in Deutschland große Mühe mit vielen Erleichterungen, oft kostenlosen Sportprogrammen, günstigen Versicherungen, einer Hängeschaukel zum Entspannen und kostenlosem Wasser, Kaffee und Obst. An dieser Stelle bedarf es sicher keiner großen Erläuterung, dass wir unsere Gefühle, insbesondere unsere fundamentalen Ängste, nicht an der Tür zum Büro oder zur Werkstatt abgeben können. Wir haben sie ja sogar dabei, wenn wir in ein Konzert gehen, ins Kino oder zum Tanzen. Gefühle, insbesondere die existentiellen, sind da doch eher ganzheitlich. Aber nehmen wir trotz besseren Wissens jetzt einfach einmal an, man könnte den Fokus der Gefühle des Beschäftigten tatsächlich nur auf seinen Arbeitsplatz richten. Alles andere blenden wir aus. Dann sehen wir neben den Sportprogrammen und dem Kaffee auch den Paketfahrer, der wie viele andere Beschäftigte trotz einer Vollzeitstelle mit seinem Lohn keine Familie ernähren kann. Oder den Assistenzarzt im Krankenhaus, der zu gleichen Teilen unter der enormen Arbeitsbelastung und dem Standesdünkel seines Oberarztes leidet und beides in Alkohol ertränkt. Den Key Accounter, der irgendwie die Spielregeln nicht versteht und ständig für die schwierigsten Kunden zuständig ist. Gerne auch die HR-Beschäftigte, deren Kompetenz angezweifelt wird, weil sie nicht die Bewerber bringt, die das Unternehmen benötigt. Oder den ganz normalen Sachbearbeiter, der die ganzen Veränderungen einfach nicht mehr versteht und dem langsam alles egal ist. Sich „wohl und sicher fühlen“ ist in unserer Arbeitswelt selbst bei eingeschränktestem Fokus nur schwer vorstellbar. Selbst wenn es den einen oder anderen freudigen Moment im Arbeitsleben eines Beschäftigten gibt, sollte das nicht zu dem Trugschluss führen, dass Arbeiten im frei flottierenden Kapitalismus zu Sorgenfreiheit führen kann. Da kann sich schon glücklich schätzen, wer Kolleginnen und Kollegen hat, mit denen er sich menschlich gut versteht. Kurzer ideologischer Ausflug Gehen wir das Thema jetzt einmal etwas differenzierter an. Die meisten Menschen würden sicher etwas ganz Anderes tun wollen, wenn sie ihre Arbeitskraft nicht täglich verkaufen müssten. Und zwar sowohl in ihrer allgemeinen Form (ich verkaufe mich), als auch in ihrer konkreten Form (ich fülle Excel-Listen aus). Die Arbeit erscheint vielen Beschäftigten vom Grundsatz her als von ihren wirklichen Wünschen ent-fremdet, wie die Soziologie das nennt. Was macht diese Entfremdung mit uns Menschen, wie verhalten wir uns dazu? In der Psychologie wird unterschieden zwischen Verhalten, das uns hilft, langfristig Verfügung über uns einschränkende Bedingungen zu erlangen und Verhalten, dass uns möglicherweise aus kurzfristiger Sicht Vorteile bringt, uns aber langfristig schadet. Wenn wir jetzt diese beiden Ansätze einmal zusammenbringen, ergibt sich folgendes Bild. Die meisten Beschäftigten würden eigentlich lieber etwas ganz Anderes tun als jeden Morgen an ihren Arbeitsplatz zu gehen. Und doch schaffen es die meisten, pünktlich dort zu erscheinen und zumindest einige haben an ihrer konkreten Tätigkeit wenigstens zeitweise sogar eine gewisse Freude. Wieso ist so etwas in entfremdenden Strukturen möglich? Als Erklärung bietet uns die Psychologie das Konzept der „Selbstfeindschaft“ an. Der Mensch ist nämlich, anders als jedes noch so hoch entwickelte Tier, in der Lage, jederzeit frei zu entscheiden. Und dabei hat er immer zwei grundsätzliche Möglichkeiten: Anpassung an die aktuellen Machtstrukturen (in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz etc.) oder Rebellion gegen sie (Ablehnung, Widerstand, Bummeln etc.). Anpassung bedeutet, sich mit der Macht, welcher Art auch immer, zu arrangieren und dadurch zumindest kurzfristig im Schutz der Mächtigen relativ sicher zu leben. Aber immer im Wissen darum, dass man eigentlich etwas ganz anderes viel lieber täte und sich deshalb eigentlich für die Rebellion hätte entscheiden müssen. Damit diese „restriktive“ Entscheidung gefällt werden kann, muss der Beschäftigte all seine Sorgen und Ängste beiseite, also ins Unterbewusste, schieben. Nur wenn er all das ihn Bedrohende ausblendet, kann er seiner vom Grundsatz her als sinnlos empfundenen Arbeit nachkommen. Die Entscheidung für Anpassung im entfremdenden Kapitalismus hat also immer psychische Verdrängung zur Voraussetzung, erfordert „inneren Zwang“. Zwang ist der Zwilling der Macht. Der Schlüssel zum Verständnis des menschlichen Verhaltens ist diese doppelte Möglichkeit bei Entscheidungen. Sie gilt natürlich auch für die Dialektik von allgemeiner und konkreter Arbeit. Ich kann mich in Kenntnis der langfristigen Folgen des Kapitalismus für Mensch und Natur gegen die Anpassung und für die Rebellion im Sinne der allgemeinen Arbeit entscheiden und zum Beispiel in alternativen Wirtschafts- oder Eigentumsformen tätig werden. Ich muss es aber nicht, ich kann mich auch für das Arbeiten unter den bestehenden entfremdenden Bedingungen entscheiden. Wie auch immer ich mich bei der allgemeinen Arbeit entscheide, daraus folgt keineswegs zwangsläufig die gleiche Entscheidung für meine konkrete Arbeit, denn auch hier habe ich wieder zwei Möglichkeiten. Ich kann mich anpassen und mich voll im Sinne des Unternehmens engagieren, ich muss es aber auch hier nicht, kann widerständig sein und etwa „Dienst nach Vorschrift“ machen. Ich kann also durchaus meine Arbeit an sich als sinnlos empfinden, trotzdem aber Spaß an meiner konkreten Arbeit haben. Aber auch die umgekehrte Kombination ist denkbar, unsere Psyche ermöglicht uns fast alles. Für welche Option ich mich entscheide, hängt im Wesentlichen davon ab, wie ich die Folgen meiner jeweiligen Entscheidung bewerte. Je öfter sich der Mensch für ein angepasstes Verhalten gegenüber Machtstrukturen entscheidet, desto mehr Impulse der Gegenwehr muss er unterdrücken. Sein Gefühl sagt ihm vielleicht, dass er am liebsten alles hinschmeißen möchte, sein Verstand aber hält ihn nach einer Güterabwägung davor zurück. Dieses Verhalten hat weitreichende Folgen, denn es formt die Sicht des Menschen auf sich selbst, seine Haltung. Wer in seinem bisherigen Leben gelernt hat, dass Anpassung zwar keine Sicherheit und Reichtümer einbringt, aber kurzfristig deutlich risikoloser ist als Rebellion, bei der man alles, zum Beispiel seinen Arbeitsplatz, verlieren kann, der wird bei Entscheidungen auch in Zukunft wahrscheinlich eher zur Anpassung neigen. Mit der Zeit wird es schwer, sich vor Entscheidungen immer wieder bewusst zu machen, dass man ja aktiv zwischen mindestens zwei Handlungsoptionen entscheiden kann und so erscheint die entfremdende Wirklichkeit irgendwann als das einzig Normale, das man nicht mehr grundsätzlich hinterfragt. Damit erscheint dann auch die Anpassung an das Normale als das Normale und die bei jeder Entscheidung vorhandene Alternative der Rebellion wird in das Reich linker oder grüner Ideologie verschoben. Zumindest kurzfristig kann das zu einer Entlastung des eigenen psychischen Apparates führen. Und doch ist die Alternative der Rebellion jederzeit präsent, wenn auch nicht immer bewusst. Der Zusammenbruch Wenn der Anteil der Arbeitsausfälle insbesondere aufgrund psychischer Krankheiten in den letzten Jahren dramatisch ansteigt, dann ist die Ursache dafür genau in diesem Anpassungsverhalten zu finden. Ein Beschäftigter, der viele Jahre lang mit innerem Zwang engagiert und eifrig seine konkrete Arbeit erledigt hat, kann bei zunehmendem Druck von außen (etwa eine erlebte Enttäuschung durch das Unternehmen) und innen (die Fülle der ins eigene Unterbewusste geschobenen rebellischen Impulse) irgendwann sein gesamtes psychisches Konstrukt nicht mehr vollständig absichern. Die immer vorhandene Alternative der Rebellion bekommt plötzlich mehr Spielraum und führt in der Güterabwägung des Verstandes immer öfter nicht mehr zu dem bisher fast automatischen Ergebnis der Anpassung an das scheinbar Normale. Stattdessen stellt sich der Mensch zunehmend die Sinnfrage und kommt immer öfter zu dem Ergebnis, dass er sich möglicherweise während eines Großteils seines Lebens für die falsche Alternative entschieden hat. Zumindest zu Beginn dieser Entwicklung ist das dem Menschen oftmals nicht bewusst, er merkt nur, dass er der Wirklichkeit zunehmend die Eigenschaft des Normalen, zumindest des erstrebenswert Normalen abspricht. Das führt zu einer zunächst nicht bewussten Widerständigkeit im Entscheidungsprozess. Sein Weltbild, seine Haltung beginnt instabil zu werden, es fehlen aber aufgrund mangelnder Erfahrung mit rebellischen Entscheidungen oftmals alternative Verhaltensmuster. Der Mensch gerät zunehmend in Entscheidungskonflikte, weil alte Werte nicht mehr kritiklos hingenommen werden, neue Werte aber noch nicht als Haltung entwickelt sind mit der Folge einer zumindest partiellen Handlungsunfähigkeit. Und genau diese Handlungsunfähigkeit ist die Ursache für psychische Störungen, insbesondere die affektiven (ICD-10, F3-Kapitel), neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen (F4-Kapitel). Allerdings hat der Mensch auch an dieser Stelle wieder mindestens zwei Handlungsoptionen. Er kann die psychischen Konflikte annehmen und für sich einen neuen Weg suchen (oft verbunden mit großen Entscheidungen wie Scheidung, Arbeitsplatzwechsel, Umzug, etc.). Er kann aber auch vor diesen Anstrengungen zurückschrecken und seine rebellischen Impulse weiterhin unterdrücken. Oft wird dies begleitet von der Entwicklung einer radikal-reaktionären Haltung oder sarkastischen Zügen als vermeintlichem Schutz gegen seine immer auch noch vorhandenen rebellischen Impulse. Die Psyche ist ganzheitlich in Raum und Zeit Spätestens seit seiner Geburt muss der Mensch ständig zwischen Anpassung und Rebellion entscheiden. Seine Lebensumstände und die Erfahrungen, die er dabei sammelt, führen zu einem je eigenen Muster von Angstbereitschaft und Freiheitsstreben. Seine gesamte bisherige Lebensgeschichte inklusive der aktuell gefühlten Sorgen und Ängste, aber auch Träume und Phantasien sind die psychische Grundlage, auf der er seine Entscheidungen auch am Arbeitsplatz trifft. Und genau deshalb ist es realitätsfern, von Beschäftigten zu fordern, sie sollten bitte hoch engagiert arbeiten, ihr privates Leben, ihre Ängste und Sorgen aber bitte außen vorlassen. Es gibt keine Komfortzone am Arbeitsplatz, wenn es sie nicht auch im „sonstigen“ Leben gibt. Perspektivenwechsel Jetzt nehmen wir einmal einen Perspektivenwechsel vor. Bisher haben wir nur über die Ängste gesprochen, die Veränderungen oder Lernen erschweren und durch die nach Ansicht der Komfortzonen-Modelle die Beschäftigten gehen müssen, um anschließend glücklicher und produktiver zu sein. Was wir bisher noch nirgendwo in diesen Komfortzonen-Modellen als Antrieb gefunden haben, ist das Gegenteil von Angst, nämlich Sinn oder Wert. Die Psyche des Menschen ist so gestrickt, dass sie nicht nur unter Bedingungen leben, sondern diese auch aktiv gestalten möchte. Das ist übrigens der einzige Grund, warum uns in der Evolution der Sprung aus dem Tierreich geglückt ist in eine vom Menschen geschaffene Gesellschaft, in der zum Beispiel für Sicherheit, Nahrung und Gesundheit schon dann gemeinsam gesorgt wird, wenn noch gar keine akute Mangelsituation vorhanden ist. Und in der wir Dinge produzieren, die irgendwann einmal irgendjemand gebrauchen kann. Diese Entwicklung, mit der die Gesellschaft die Evolution ablöst, wäre niemals geschehen, wenn der Mensch an sich faul und bequem und jeder Wandel ihm ein Grauen wäre. Im Gegenteil, Wandel muss evolutionär grundsätzlich positiv belegt gewesen sein, ansonsten säßen wir heute noch auf den Bäumen. Vereinfacht gesagt wurden Aktivitäten, die den Menschen geholfen haben, ihre Situation vorsorgend und gemeinsam mit anderen zu verbessern, im Tier-Mensch-Übergangsfeld emotional positiv bewertet und führten in der Antizipation der möglichen Ergebnisse zur Motivation der Veränderungshandlung, also zur Bereitstellung von Energie für Lernen und Arbeiten. Alle Einflüsse hingegen, die mich von der vorsorgenden und gemeinsamen Lebensführung ausgeschlossen hätten, müssen schon in dieser Zeit emotional negativ bewertet worden sein und zu körperlichen und psychischen Hemmungen geführt haben. Bei wahrgenommener Gefahr auch zu Angst bis hin zur Panik, mit der Folge einer deutlich reduzierten Lern- und Handlungsfähigkeit. Eine Lösung, die Sinn macht Was bedeutet dies nun für unser Thema Komfortzone? Wollen wir, dass psychisch halbwegs gesunde Beschäftigte ihre Arbeit motiviert angehen, gerne lernen, sich Neuem nicht verschließen und vielleicht sogar Motor von Veränderung sind, dann sollten sie nicht durch ein Tal der Tränen geschickt werden. Genau das Gegenteil ist erforderlich. Lern- und veränderungsfördernde Arbeitsbedingungen sind solche, unter denen der tägliche Gang zum Arbeitsplatz nicht das Ergebnis einer Anpassung mit täglich vergrößerter Selbstfeindschaft ist. Vielmehr muss der Beschäftigte einen Sinn in seiner Arbeit in der Weise sehen, dass er mit seinem Tagwerk nicht seine eigene Entfremdung weiter zementiert. Dies betrifft sowohl die allgemeine Arbeit (vereinfacht gesagt den gesellschaftlichen Teil) wie auch die konkrete Tätigkeit. Die eigene Arbeit muss als Rebellion gegen Entfremdung und Sinnlosigkeit betrachtet werden können, dann wird Veränderung kein Problem darstellen, dann werden die Beschäftigten sie selber einfordern und - möglicherweise plötzlich umgekehrt - das Unternehmen damit überfordern. Rebellion hat dann das Potenzial, vorhandene gesellschaftliche und private Konflikte zu lösen und Sorgen zu reduzieren und damit der Vorstellung einer tatsächlichen Komfortzone näher zu kommen. Wahrscheinlich wird sich dafür und dadurch auch unser Wirtschaftssystem grundlegend ändern. Haltung beeinflusst Handlung Entscheidend für das Maß, in dem sich Beschäftigte für sinnvolle Veränderungen einsetzen, ist also ihre Sicht auf den Charakter ihrer allmorgendlichen Entscheidung, an ihren Arbeitsplatz zu gehen. Solange dies eine Entscheidung der Anpassung ist, wird Veränderung langfristig immer auf Kosten der Gesundheit des Beschäftigten gehen. Erst wenn es eine Entscheidung der Rebellion ist, wenn also die tägliche Arbeit als ein Teil zunehmender Verfügung über die Bedingungen des eigenen Lebens erfahren wird, erst dann werden Veränderungen nicht nur kein Problem mehr sein müssen, sondern im Gegenteil, sie werden von den Beschäftigten selbst eingefordert werden. Denn das ist die wirkliche Natur des Menschen. Schafft eine Komfortzone! Die Forderung „Raus aus der Komfortzone!“ erscheint im Licht dieser Argumentation als triviale Machtphantasie, die genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie vorgibt, erreichen zu wollen. Die psychologisch richtige Forderung für dauerhaft erfolgreiches Lernen und motivierte Veränderung darf daher nicht lauten „Raus aus der Komfortzone!“, sondern „Schafft eine Komfortzone!“, indem Arbeit einen echten Sinn und gesellschaftlichen Wert bekommt, der von den Beschäftigten im Arbeitsalltag authentisch und nachhaltig erlebbar ist.
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